Noch am Tag meiner Ankunft auf dem kleinen Provinzflughafen Mali in Alor mache ich mich auf dem Weg in den Süden. Seit dem Boarding in Zürich sind rund 46 Stunden vergangen. Mein letztes Stück Gruyere Käse mit dunklem, knusprigem, mit Butter bestrichenem Brot habe ich vor 48 Stunden gegessen. Ein Gläschen Rotwein zum Abendessen gab es vor 40 Stunden. Der noch am Flughafen eingepackte Brezel vom Brezel-König vor ca. 12 Stunden. Nun heisst es langsam aber sicher Abschied nehmen vom europäischen, mir so vertrauten, Essen. Brot und Käse wird zu Reis und Gemüse.

Wieder zurück auf dem gelobten Land, muss mein Körper neben dem kulinarischen Aspekt auch mit einigen anderen Umstellungen klarkommen. Von einer trockenen und verschneiten Winterlandschaft tauche ich in eine tropisch-feuchte, vom vielen Regen sattgrüne und undurchdringliche, Dschungel-Umgebung ein. Während meine Beine sich im Büroalltag geradezu nach etwas Bewegung in den Pausen sehnten, bedanken sie sich jetzt für jede kurze Sitzgelegenheit. Frühmorgendliches Joggen ist nicht mehr nötig, um meinen Bewegungsdrang zu sättigen. Mein grösster Respekt habe ich jedoch wegen einer anderen Sache. Denn auch mein Geist soll herausgefordert werden. Zum ersten Mal seit Baubeginn bin ich während zwei Woche in der Rolle der alleinigen Bauherrin. Werden mich die Arbeiter als Frau und Chefin akzeptieren? Werden mich die dunklen und einsamen Nächte wachhalten oder kann ich meine Ruhe auch alleine finden? Der Respekt vor der grossen Verantwortung ist da – und gleichzeitig freue ich mich auf die Herausforderung.

Zeit für ein sachtes Einleben von Körper, Geist und Seele gibt es nicht. Die Regenzeit ist vorbei, die Arbeiter wieder vor Ort – SAVU soll weiter entstehen. Die starken Regenfälle der letzten drei Monate haben unser Stück Land in eine grüne und wilde Oase verzaubert. Die Fusswege sind überwachsen und nur noch mit Mühe auszumachen. Um dort weiterzumachen wo wir im Dezember aufgehört haben, muss zuerst einmal Gras geschnitten und Büsche zurückgestutzt werden. Zum Glück ist dies eine der Lieblingsbeschäftigungen unserer ortsansässigen Mitarbeiter und nach ein paar Stunden Macheten-Tanz sieht SAVU wieder ganz adrett aus.

Höchste Priorität hat die Mitarbeiterunterkunft. Bereits in wenigen Wochen werden zusätzliche Arbeiter aus Java und Bali eingeflogen, welche verköstigt werden müssen und einen angenehmen Schlafplatz brauchen. Um die Resort-Infrastruktur bis dahin fertig zu bauen, braucht es neben guten Arbeitern vor allem auch ausreichend Baumaterial. Die pünktliche Anlieferung von Materialien stellt seit Baubeginn eine unserer grössten Herausforderungen dar – und dies wird sicher auch bis am Schluss so bleiben. Ohne Strassenzugang brauchte es nicht nur eine gut koordinierte Zeitplanung, sondern auch einen zuverlässigen Bootskapitän und ein gutes Auf- und Ablade Team.

Um auch einmal die andere Seite der Logistikkette zu sehen, begleite ich die Ware vom Provinzhauptstädtchen Kalabahi bis zu uns nach Hirang. Baumaterialien wie Zement, Holz und Stahl werden in unserem Zwischenlager in Kalabahi auf einen LKW geladen und dann vom naheliegenden Hafen mit einem lokalen Holzboot in den Süden der Insel transportiert.  Dabei müssen nicht nur Lastwagen- und Bootstransfer aufeinander abgestimmt werden, sondern auch die Gezeiten müssen berücksichtigt werden. Das Boot kann nämlich nur bei Flut mit der schweren Last beladen werden. Auch wenn alles noch so perfekt nach Deutsch/Schweizerischem-Standard organisiert wird, gibt es immer einige indonesische Faktoren, welche den ganzen Logistikprozess etwas verzögern können. Es kann durchaus sein, dass Jemi, unser lokaler Bootskapitän aus Hirang, zwar pünktlich im Hafen erscheint, jedoch zuerst noch Diesel für die Rückfahrt kaufen muss oder dass er noch nichts zu Mittag gegessen hat. Bei letzterem heisst es dann “makan dulu” (übersetzt: zuerst essen) und daran ist dann ganz sicher nichts zu rütteln.

Um die vielen Anlieferungen etwas zu minimieren, haben wir uns für “Mr. Robot” entschieden. Dank Herr Roboter (Namensgabe durch einer unserer Mitarbeiter) können wir die in grosser Anzahl benötigten Backsteine für Gebäude- und Poolbau nun selber herstellen. Die Produktion erscheint uns einfach, bestehen die Zutaten doch nur aus Sand, kleinen Steinchen, Wasser und Zement. Das perfekte Rezept muss aber tatsächlich zuerst herausgefunden werden. Ist das Verhältnis der Zutaten erst einmal auf Papier, kommt die nächste Herausforderung: die Anwendung. Unsere Arbeiter Bento, Thomas und Agus davon zu überzeugen, als Mengenmessgerät nicht nur ihr Gefühl, sondern Eimer zu verwenden, erweist sich schwieriger als gedacht. Viel lieber probieren sie erst einmal aus und ergänzen dann entsprechend mit Wasser und Sand bis am Schluss niemand mehr eine Ahnung hat, aus welcher Zusammensetzung die Mischung besteht.

Es ist dann auch genau hier, wo ich zum ersten Mal als Bauherrin kein Gehör erhalte. Obwohl die Ziegelsteine in sich verfallen und ich mir sicher bin, dass die Mischung zu trocken ist, heisst es erstmals “pertanya boss dulu” (erstmals den Chef fragen). Nachdem Johannes mir telefonisch bestätigt hat, dass sie es mit einem halben Eimer mehr Wasser versuchen sollen, produzieren die drei Jungs die schönsten und stärksten Backsteine in ganz Alor. Der Respekt einer Chefin erhalte ich, nichtsdestotrotz sehen die Arbeiter mich bei einigen Entscheidungen mehr als Sprachrohr zum “richtigen” Chef.

Während meiner zweimonatigen Tätigkeit im Manta Büro, habe ich mich manchmal gedanklich kurz nach Hirang gezaubert. Dann habe ich mich gefragt, wie unsere lokalen Dorfmitarbeiter hier in Zürich klarkommen würden. Meine Antwort ist klar: Gar nicht. Während in der Schweiz von Pünktlichkeit, Respekt und Diskretion der Mitarbeiter ausgegangen wird, gehören im kleinen Dörfchen Hirang, im Süden von Alor, Dorfintrigen wie auch Dramas zum Alltag. Statt mit einzelnen Mitarbeitern, haben wir es hier mit einer starken Dorfgemeinschaft zu tun. Es kann ein Mitarbeiter mit etwas nicht zufrieden sein und schon streikt das ganze Dorf am nächsten Tag. Hier muss dann durch lange Gespräche und Dialoge erstmals herausgefunden werden, wo genau der Schuh drückt. Auch das Wort des Dorfhäuptlings ist nicht zu unterschätzen. Wenn er zum Beispiel der Meinung ist, dass ein Dorfjunge nicht bei uns arbeiten sollte, weil er die Baustelle als Plattform nutze um mit jungen Mädchen zu flirten und somit seine Frau betrügen könnte, dann versucht er das durchzusetzen – auch wenn er dafür mit Pfeil und Bogen erscheinen muss. Eine unserer grössten Herausforderungen sind aber ganz klar die vielen “Kelihatans”, die sogenannten Dorf- und Kirchenanlässe. Hier muss jeder mithelfen und sollte sich jemand drücken, wird mit dem Finger auf ihn gezeigt. Was nun aber, wenn einzelne Dorfbewohner nicht bei den Festvorbereitungen mithelfen, da sie bei uns arbeiten? Schwierig… Auch hier sind immer von Neuem lange Gespräche und Erklärungen nötig.

Uns ist bewusst, dass wir langfristig das Leben dieser starken Dorfgemeinschaft etwas verändern werden. Statt wie gewohnt einander unentgeltlich unter die Arme zu greifen, werden sie bei uns plötzlich für Ihre Arbeit entlohnt und müssen sich im Gegenzug an Regeln halten. Ihr Leben wird sich aber nicht nur verändern, sondern in vielen Hinsichten auch verbessern. Die Auswahl an Gemüse und Früchten in Hirang wird dank verbesserter Bewässerung wohl schon im nächsten Jahr viel grösser sein. Die tägliche gleiche Mahlzeit aus Reis, Papaya und Bananen während der Trockenmonate, gehört dann definitiv der Vergangenheit an.

Ein langer und heisser Arbeitstag geht zu Ende, die lokalen Arbeiter gehen nach Hause. Ich sitze in der Dämmerung vor meiner Hütte und freue mich auf mein immer gleiches, aber leckeres Abendessen: Reis mit Aubergine, Kangkung und Tempe. Bis zur Anlieferung unserer neuen Solaranlage nächsten Monat, müssen wir noch mit unseren alten vier Solarzellen auskommen, welche nicht gross über das Aufladen von Natel und Laptop hinausreichen, womit die Lichter abends rasch aus sind. Im Schein der Kerze sitzend, erfüllt mich ein Gefühl von Stolz und Erleichterung. Stolz, dass ich die Zeit auf der Baustelle alleine irgendwie gemeistert habe und Erleichterung, dass Johannes morgen wieder zurück ist. Das Leben hier ist anders. Der Alltag in meiner Wahlheimat Indonesien und meiner richtigen Heimat Schweiz könnte kaum unterschiedlicher sein. Und doch fühle ich mich in beiden Welten zu Hause. Genauso wie ich Brot und Käse hier in Alor oft vermisse, fehlt mir in der Schweiz rasch die Indonesische Leichtigkeit und Unbeschwertheit der Menschen.

Liliane Mäder, Travel Expert & Assistant Product Manager, Manta Reisen